Altarbild von Marlene Dumas

Lebensbaum mit fünf Rundbildern

Bild: Mira Körlin

Die Annenkirche, Dresdens erster evangelischer Kirchenneubau aus dem Jahr 1578, wurde während der Bombennacht am 13. Februar 1945 erheblich beschädigt, blieb aber wie durch ein Wunder stehen. Die außen seit 1769 barocke Kirche wurde umfassend restauriert. Der beeindruckende Innenraum aus der Epoche des Jugendstils brauchte zur Vollendung nun noch ein Altarbild.

Eine Findungskommission hatte sich über eineinhalb Jahre damit befasst, für diese schwierige und höchst anspruchsvolle Arbeit einen Meister der Gegenwartskunst zu finden. Ihre Entscheidung für Marlene Dumas fiel einhellig. Die aus Südafrika stammende und in den Niederlanden lebende Künstlerin begann ihren Schaffensprozess für das Dresdner Altarbild in ihrem Amsterdamer Atelier im Jahr 2014. Künstlerisch unterstützt wurde sie von Jan Andriesse und Bert Boogaard.

Die Gestaltung des Altarbildes war für die Malerin ein außergewöhnliches Unterfangen allein schon der Maße wegen: Es ist 3,60 Meter breit und 7,80 Meter hoch. Es besteht aus fünf Rundbildern von Marlene Dumas, einem sechsten von Jan Andriesse und einem von Bert Boogaard gemalten Lebensbaum, der sie miteinander verbindet. In den Motiven werden die großen christlichen und menschlichen Themen auf unmittelbare Art und Weise aktuell.

Beim Schiff des Lebens nutzt Dumas ein Motiv, das aus aktuellen Nachrichten bekannt ist. Das überfüllte Flüchtlingsboot scheint bedroht wie der Kahn mit Jesus und seinen Jüngern im Sturm auf dem See Genezareth. Und es ist zugleich nach oben aufgerichtet, wie das Bild der Engelsleiter in der Vision Jakobs. Darin zeigt sich die Verbundenheit Gottes mit den Menschen, wie in dem Regenbogen von Jan Andriesse, der an oberster Stelle steht. Er verweist nicht nur auf die Erlösung, sondern auch auf die Schönheit der Schöpfung und die Verpflichtung, diese zu bewahren.

Ein weiteres Rundbild zeigt zwei Menschen in einer anrührenden Situation: der eine wendet die Kraft auf, um den anderen zu tragen, der schlaff und leblos auf seinen Armen ruht. Das ist das Motiv der Pietà mit Maria, die den toten Christus in ihren Armen beweint. Auch hier die Umkehrung: Hier trägt ein Mann eine Frau.

Bei der Darstellung des Sternenhimmels, der am Anfang der Schöpfungsgeschichte steht, bleibt in der Mitte ein Bereich weiß, weil die Malerin ihn mit ihren Armen nicht erreichen konnte: eine einfache Tatsache von weitreichender Bedeutung. Die Trennung von Licht und Finsternis, aber auch die Endlichkeit der menschlichen Möglichkeiten kann so malerisch gefasst werden.